Die Sommerferien stehen vor der Tür und das heißt auch: Zeugniszeit. Ob du nun selbst Kinder hast oder nicht – sicherlich erinnerst du dich noch gut an diese Zeit, in der du gespannt, aufgeregt, vielleicht freudig, vielleicht aber auch ängstlich und unsicher deinem Zeugnis entgegengeblickt hast.
Ich nehme es gleich mal vorweg: ich finde Noten nicht besonders prickelnd. Und auch wenn ich selbst ziemlich gut durch die Schulzeit und das Schulsystem „gekommen“ bin, hätte ich nichts gegen eine Schule mit weniger Bewertungsdruck. So ist unser Schulsystem aber nicht und so wurden wir und werden die Kinder von heute weiterhin durch abstrakte Zahlen bewertet. Doch wie sehr prägen uns Bewertungen wirklich? Und inwiefern beeinflussen sie unser weiteres berufliches Leben? Zu diesen Fragen möchte ich in diesem Blogartikel meine Gedanken mit dir teilen.
Der Mythos der Noten
In unserer Gesellschaft weit verbreitet ist doch der Gedanke: nur wenn ich gute Noten habe, kann ich erfolgreich werden und das machen, was ich möchte.
Wir wissen, was schulisch als gut bewertet wird, kann beruflich sogar total hinderlich sein. Zum Beispiel erinnere ich mich noch gut an einen Lehrer in der Mittelstufe des Gymnasiums, der sehr ordentlich und genau war und für seine in Schönschrift und akkurater Linien gemalten Tabellen an der Tafel bekannt war. Unsere Aufgabe in der Klassenarbeit: genau diese Tabellen reproduzieren. Benutzte man ein anderes Wort innerhalb der Tabelle, als er es aufgeschrieben hatte, war es ein Fehler. Bedeutete: gute Noten bekamen diejenigen, die sehr gut auswendig lernen konnten. Diejenigen, die sich anpassen konnten und die Erwartungen der Lehrer*innen erfüllten.
In der Arbeitswelt ist das reine Reproduzieren aber nicht mehr die gefragte Fähigkeit Nummer 1 (schon gar nicht in Zeiten von ChatGPT & Co.). Es ist also offensichtlich, dass Noten nur einen sehr begrenzten Teil unserer eigentlichen Fähigkeiten und Talente erfassen. Denn was ist mit Kreativität, Ideenreichtum, Innovation, Risikobereitschaft, Fehlertoleranz und all den sozialen Kompetenzen? Sind das nicht in Wirklichkeit genau die Kompetenzen, die wir in der Zukunft der Arbeitswelt brauchen? Die uns helfen, in sich stark wandelnden Zeiten zuversichtlich nach vorn zu blicken und auch sich selbst immer wieder neu zu erfinden? Sich selbst immer wieder neu zu erfinden heißt ja auch, sich nicht immer wieder an der Schulnote von damals zu orientieren.
Die Auswirkungen auf das Berufsleben
War auch ich früher überzeugt, dass gute Schulnoten zu hoher Wahrscheinlichkeit auch zu einem hohen beruflichen Erfolg führen werden, habe ich gelernt: dem ist nicht so. Und ich kenne glücklicherweise haufenweise toller Menschen, die sich mit viel Mühe und viel Frust durch die Schulzeit kämpften und dann doch beruflich sehr erfolgreich (gerade mit den Fähigkeiten, die nicht durch Noten erfasst wurden). Hier muss ich direkt anmerken: wenn ich hier von „erfolgreich“ schreibe, dann meine ich das in dem Sinne, wie es hier weithin gesellschaftlich angenommen wird. Hoch auf der Karriereleiter und ein gutes Gehalt. Wer mich schon länger kennt, weiß, dass ich persönlich „Erfolg“ genau nicht danach definiere, sondern danach, wie zufrieden du mit dem bist, was du machst, ob es dich erfüllt und ob du Freude hast. Und manchmal sind das eben nicht die Jobs, die gesellschaftlich unmittelbar mit „Erfolg“ verbunden werden.
Die Frage ist doch: wie können wir Entscheidungen für berufliche Wege so treffen, dass sie wirklich uns entsprechen? Denn sind wir mal ehrlich, bei vielen ist es doch so: wenn wir eine Idee im Kopf haben, läuft im Kopf doch meistens direkt nebenher ab, was andere darüber denken. Wie andere das bewerten. Wie findet das wohl meine Mutter? Meine beste Freundin? Tanta Karla? Natürlich können Meinungen von anderen durchaus hilfreich sein, weil sie uns nochmal weitere Perspektiven eröffnen. Gleichzeitig sollten wir – insbesondere dann, wenn wir dazu neigen, eher auf andere als auf uns selbst zu hören – sehr gut an uns selbst beobachten, wie unsere Entscheidungen zustande kommen. Konkret: wir sollten immer darauf aufpassen, dass wir selbst bei der Entscheidungsfindung eine größere Rolle spielen als die Meinung anderer. Denn es geht ja um dich!
Löse dich von der Bewertungsfalle
Es kommt der Moment im Leben, da kommen wir ins Grübeln und fragen uns, was das eigentlich alles soll? Wie es eigentlich kommt, dass wir so abhängig sind von Bewertungen anderer und warum wir so wenig auf uns selbst hören. Und dann entsteht der Wunsch: uns nicht mehr über die Bewertung anderer zu definieren, sondern nur noch einen Maßstab ansetzen: unseren eigenen. Was können wir also tun, um uns aus dieser Bewertungsfalle zu befreien?
Der wichtigste Punkt klingt so langweilig, ist aber entscheidend: uns selbst reflektieren. Unseren bisherigen Weg, unsere Entscheidungen und natürlich auch unsere persönlichen Ziele. Was sind die Dinge, die uns wirklich interessieren? Was brauche ich, um wirklich zufrieden zu sein? Und was kann ich dafür tun? Wer kann mich dabei unterstützen? Fragen wie diese können uns einen großen Schritt nach vorne bringen und uns helfen, unseren eigenen Weg und unsere eigene Definition von Erfolg zu finden. Das bedeutet nicht, dass es immer einfach sein wird, das ist klar. Aber es ist ein Weg, der sich lohnt zu gehen: weil er uns erfüllt und uns langfristig zufriedener macht.
Was ich außerdem sehr hilfreich finde: nicht nur im stillen Kämmerlein allein für sich zu reflektieren, sondern sich Gleichgesinnte zu suchen. Sich auszutauschen mit anderen und festzustellen: ich bin mit meinen Gedanken nicht allein. Sich gemeinsam für neue Gedanken und Verhaltensmuster zu öffnen kann um ein Vielfaches leichter sein.
Fazit
Noten sind nicht und sollten nicht das Maß aller Dinge sein. Die eigentlich Kunst ist es, sich ok zu fühlen und seinen eigenen Weg zu verfolgen – unabhängig von Noten. Glücklicherweise ist Schule im Wandel (wenn auch viel zu langsam) und es gibt immer mehr tolle und engagierte Lehrer*innen, die – auch wenn sie im „System Schule“ stecken – Möglichkeiten suchen und finden, Kindern ihren Wert fernab der Noten zu vermitteln.